Floh im Ohr (Mai 1999)

Ein neues Konzept zur Audioarbeit im ländlichen Raum, Kiel 1999

Inhalt

Vorbemerkung
1. – Floh im Ohr – Was ist das?
2. – Grundsätze
2.1. Das Ohr lernt sehen
2.2. Kinder & Jugendliche und deren  Audiokompetenzen
2.3. Vermittlung von Medienkompetenz
3. –   Floh im Ohr und Fischauge – Ein neuerAnsatz ländlicher Medienarbeit
3.1.   Merkmale Fischauge
3.2.   Merkmale Floh im Ohr
3.2.1 Kommunikation
3.2.2 Politische Bildung
3.2.3 Vermittlung von Medienkompetenz
3.2.4 Jugendarbeit
3.3.   Erweiterungen Floh im Ohr
3.4.   Resümee der Vorüberlegungen
4. – Dieses Jahr: Süsel und Scharbeutz
4.1. Ablauf einer Station
4.2. Ortswahl
4.3. Süsel
4.4. Scharbeutz
5. – Projekterfahrungen 1998
5.1. Erfahrungen in Süsel
5.2. Erfahrungen in Scharbeutz
5.3. Erfahrungen 1998
6. – Spacecowboys und Didgeridoo – einige Hörkritiken


Vorbemerkung

Ein Radio mit Rädern? Der Offene Kanal und sein Hörfunk-Mobil? Weit gefehlt.

Floh im Ohr ist eine neue Aktion zur Medienarbeit im ländlichen Raum. Zwei Stationen im ländlichen Umfeld der Hansestadt Lübeck besuchte das Radio-Mobil im Sommer 1998. Kostenlos nutzten etwa 60 Kinder und Jugendliche in Süsel und Scharbeutz das Angebot, in ihrem eigenen Dorf, ihrem vertrauten Umfeld die Welt der Töne kennenzulernen. Floh im Ohr reiste mit dem gesamten technischen Equipment an, mit Mikrophonen und Kassettenrecordern, mit Bandmaschinen, Mischpulten und Schneideplätzen. Hörfunk vor Ort, aber auch Experimente mit Audio, eine Klangwerkstatt, eine Tonralley standen auf dem Programm.

Erscheint der technische Aufwand, die Masse der zu koordinierenden Gerätschaften, bei dem Medium Hörfunk ungleich geringer als bei Videoprojekten, so entsteht dadurch ein Freiraum zu kreativer, bewußter und natürlich spielerischer Auseinandersetzung mit dem Hören selbst, zur Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung von Sprache, von Geräuschen und Musik. Erst bei einem zweiten Schritt steht die Artikulation selbst an. Deshalb geht es dabei zum einen natürlich um das Probieren unterschiedlicher Gestaltungsmöglichkeiten, den Schnitt, die Tonverfremdungen, zum anderen aber auch immer die inhaltliche Beschäftigung mit einem selbstgewählten Thema und dessen Umsetzung.

Floh im Ohr macht keine Themenvorgaben. Die Jugendlichen entscheiden selbst über Inhalt und Umsetzung ihrer Produktion und werden im gesamten Prozeß vom Mitarbeiterteam begleitet.

Floh im Ohr

Durch die terrestrische Ausstrahlung des Offenen Kanals Lübeck bildet eine live in den Äther eingespeiste Sendung direkt vom Dorfplatz das Ziel aller Produktionen, den krönenden Abschluß und auch den Bezug der eigenen Werke, der Hörspiele, Reportagen oder Musikkompositionen zur Hörerschaft, zum Publikum.

Floh im Ohr ist also konzipiert als Fortführung und Erweiterung des Ansatzes der Projektreihe Fischauge. Und als ein ad hoc sehr erfolgreicher dazu.

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1. Floh im Ohr – Was ist das?

Am Anfang war das Geräusch, für das menschliche Leben noch vor der Geburt. Kindliche Entwicklung, Bindung zur Mutter, findet zuerst über das Geräusch, den Ton, erst später über das Bild statt. Die technische Entwicklung ist ähnlich verlaufen: Geräusche zu reproduzieren, gelang früher, als ausgefeilte Bilder darzustellen. Geräuschfolgen gab es lange, bevor es Bildfolgen gab.

Flimmernde Bildschirme, Laserkanonen, Breitwandkinos und Videotheken: Bei der Prägung der Welt von Kindern und Jugendlichen stehen visuelle Eindrücke mehr und mehr im Vordergrund. Nicht nur Wirtschaft und Werbung haben dies erkannt, auch die Medienpädagogik arbeitet seit nunmehr 25 Jahren an dieser Problematik und beschäftigt sich mittlerweile weltweit überwiegend mit Video und Multimedia und der damit entstehenden Notwendigkeit der Vermittlung medialer Kompetenz.

Audio – in den 60er und 70 er Jahren oben und allein auf der Liste der Medienpädagogen – wird in den 90er Jahren in dieser Szene mehr und mehr vernachlässigt. Töne und Geräusche, das gesprochene Wort an sich, führt neben dem Sichtbaren nur ein Schattendasein. Nicht nur in den Theorien und Abhandlungen der Medienpädagogik, sondern auch im allgemeinen öffentlichen Leben, spielt Audio, spielen Töne und Geräusche ihre Rolle ungleich unreflektierter.

Im visuellen Bereich, beim Fernsehen, bei Zeitschriften, bei Fotos, erscheinen die beiden Faktoren Kunst und Nachricht mittlerweile immer öfter in kohärenter Form. Videoclips und Kurzfilme sind etabliert als Kunstform wie als Nachrichtenvermittlung und auch als Lifestyle-Accessoires fest eingeführt.

Im Audiobereich, sowohl im Hörfunk als auch in der nur für den Musikbereich bestehenden Konsumwelt, klaffen die beiden Standbeine Kunst und Nachrichtenvermittlung jedoch immer weiter auseinander. Der Wortanteil im Radio liegt bei vielgehörten Hörfunkstationen weit unter 15 % des Programminhaltes und wird inhaltlich meist als Stiefkind behandelt. Und auch im Musikteil der Radiosender bundesweit sinkt das Niveau von Jahr zu Jahr rapide. Hörkunst und Toncollagen, avantgardistische Musik oder ausgefallene Hörspiele finden kaum noch ihren Platz im Sendeschema.

Durch die Bevorzugung der visuellen Ebene der Kommunikation gehen viele Chancen verloren. Ein Blick auf die Möglichkeiten von Audioarbeit soll die Frage beantworten,

  • welche Chancen ungenutzt sind,
  • ob ein rein klanglicher Blick neue Perspektiven eröffnet,
  • welche besonderen medienpädagogischen Möglichkeiten Audioarbeit eröffnet.

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2. Grundsätze

2.1. Das Ohr lernt sehen

Die technische Konservierung und Bearbeitung von Geräuschquellen, von der Drehorgel über die Schellack-Platte hin zur digitalen Tonaufzeichnung, war der Konservierung der Bearbeitung von Bildern immer einige Jahrzehnte bis Jahre voraus. Auch in der PC-/Multimedia-Welt benötigen Geräusche kleinere Speicher, geringere Bitstreams, haben für die Bearbeitung einfachere Benutzeroberflächen, sind für Bearbeitungsprogramme weniger Mittel aufzuwenden. Die Leichtigkeit des Tons steht im Gegensatz sowohl zu seiner gesellschaftlichen Einschätzung als auch seiner wirkungspraktischen Bedeutung.

Die Überzeugungsfähigkeit von Audio kommt nicht von ungefähr: Geräusche existieren als Anzeichen für Leben und Dynamik, ein ruhiges Bild, zu dem Herzklopfen zu hören ist, sagt mehr als eine hektische Bildfolge aus. Geräusche sind ein Anzeichen von Leben, unterscheiden lebende von toten Gegenständen. Geräusche sind aber auch, gerade wenn sie nicht einzuordnen sind, rätselhaft, Warnzeichen, machen Angst. Eine Nacht im Schlafsack im Wald macht deutlich, was alles existiert, was aber auch alles ungewohnt ist.

Die moderne Welt zeichnet sich durch neuartige Geräusche, durch Lautstärke – verstärkte Geräusche, aber auch durch Geräusch-Misch-Masch aus. Verschiedene Geräusche überlagern sich, geben völlig andere Informationen wieder, sind vielleicht auch schwer zu dechiffrieren, führen zu Fehlinterpretationen. Morgens sind Geräusche anders als mittags oder abends, montags anders als sonntags, und der Mensch muß diese Geräusche, aufnehmen, erkennen und interpretieren.

Eigentlich sind Geräusche genauso flüchtig wie Bilder – Bilder bleiben jedoch „haften“. Geräusche sind wirklich flüchtig, lassen sich nicht festhalten, höchstens imitieren und sind, weil rätselhaft, auch nicht immer so überzeugend. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Mechanische, elektrische, elektronische Methoden, Geräusche zu konservieren und bei Bedarf immer und immer wieder zu hören, bieten Orientierung. Um so kakophoner Geräusche sind, um so notwendiger wird diese Orientierung.

Menschliche Gesellschaft, organisiertes Miteinander, ist auf Geräusche als Informationsträger angewiesen, das Geräusch wird zum Klang, wird zur Sprache, wird zum Signal, vermittelt eine Botschaft. Sprache als abstrakter Träger von Bedeutung kann nur über Geräusche, Töne vermittelt werden – erst auf einer noch abstrakteren Ebene über Buchstaben. Während sich allerdings Sprache weiter entwickelt, mutiert, sich Einflüssen und Veränderungen anpaßt, bleibt das Geräusch als solches immer gleich. Die Bedeutung dieses Geräusches allerdings kann sich ändern.

Während also Sprache und Musik bewußt wahrgenommen und oft auch bewußt bearbeitet werden, finden Töne, oder noch mehr Geräusche, in der Alltagswelt meist nur einen abstrakten Platz. Kommunikation als höchst realer Vorgang nutzt, um überhaupt funktionieren zu können, Geräusche als Träger harter und weicher Informationen.

Geräusche sind also auch ohne Bild Träger von Informationen – Arbeit mit Geräuschen, Audioarbeit, muß sich dieser Tatsache bewußt sein und kann sie nutzen.

Audioarbeit ist gesellschaftlich relevant. Der, wenn auch teilweise sekundäre, Konsum von Hörfunk ist immer noch höher als der von Fernsehen, und das quer durch alle Bevölkerungsschichten. Audioarbeit führt durch die Attraktivität des Mediums aber auch an politische und gesellschaftliche Themen heran.

Audio bietet also Chancen, die ergriffen werden wollen.

 

2.2. Kinder & Jugendliche und deren Audiokompetenzen

Chancen ergreifen heißt, Möglichkeiten mit Notwendigkeiten und Voraussetzungen so zu kombinieren, daß der größtmögliche Effekt entsteht. Bietet Audioarbeit Besonderes im Umgang mit Kindern (hier: 1. – 6. Klasse) und Jugendlichen (hier: 7. – 13. Klasse)? Was zeichnet Kinder, was Jugendliche aus, das Bedeutung für den medienpädagogischen Alltag hat?

Kinder unterscheiden sich von Jugendlichen und Erwachsenen nicht nur dadurch, daß sie kleiner und jünger sind.

  • Kindheit definiert sich durch das Merkmal der Imitation. Unreflektiert werden andere nachgemacht, Lernen, Verhaltensänderung findet an Reaktionen des Umfeldes auf die Imitation statt.
  • Die Abstraktionsfähigkeit von Kindern ist gering. Während Emotionen deutlich erkennbar sind und auch leicht umschlagen, sind Kindern Werte, Einstellungen, Strukturen kaum bewußt.
  • Kinder verfügen über eine nur geringe Ausdauer bei der Erledigung von Aufgaben und werden schnell unkonzentriert. Alles, was keinen Spaß mehr, wird nur ungern erledigt.
  • Kinder stecken voller Energie. Lebenslust, Kraft, Wachheit wird in Bewegung, nicht nur des Mundwerks, umgesetzt.
  • Neugierde ist ein typisches Kennzeichen von Kindern. Das Neue erkunden, auch Bekanntes immer wieder hinterfragen, bis der Sinn deutlich wird, auch Sachen erfragen, die eigentlich unwichtig sind – hier haben Kinder eine große Ausdauer.

Der Kindheit schließt sich die Jugend an.

  • Umfassendes Kennzeichen von Jugend ist die Antizipation, die Vorwegnahme vermuteten Verhaltens.
  • Die Abstraktionsfähigkeit von Jugendlichen ist für Naheliegendes vorhanden, für Fernes erst in späteren Jahren.
  • Jugendliche sind begeisterungsfähig, können sich schnell auf Experimente, auf Neues einlassen, etwas ausprobieren.
  • Erfolge helfen, Erlebtes und Handeln zu beurteilen, zu entscheiden, ob sich die Wiederholung lohnt. Projektorientiert können Jugendliche von Erfolgserlebnis zu Erfolgserlebnis Lernprozesse durchlaufen.

Natürlich sind die Jahrgangszuordnungen zur Entwicklungsstufe durchgängig und im Einzelfall fließend. Die Zugehörigkeit „Kind“, „Jugendlicher“ definiert sich deshalb über die Ausfüllung der Merkmale, unabhängig vom tatsächlichen Alter.

 

2.3. Vermittlung von Medienkompetenz

Eine der elementaren Voraussetzungen zum Leben und Arbeiten in den nächsten Jahrzehnten wird die Fähigkeit sein, Medien aktiv zu nutzen. Die Vermittlung von Medienkompetenz als gesellschaftliche, schulische, betriebliche, verbandliche und private Herausforderung ist damit eine pädagogische Herausforderung auf allen Lernebenen. Sinnvollerweise muß die Frage gestellt werden, welche Lernsituation geschaffen, was vermittelt werden soll.

Die hinlänglich attestierte Reizüberflutung mit Tönen und Bildern in der Lebenswelt Jugendlicher wie auch Erwachsener erfordert aber gerade auch neue Hörkompetenzen und Informationsselektionen. Töne, Geräusche und Sprache können, genau wie bewegte Bilder, auf dreierlei Arten verstanden werden: kognitiv begrifflich, instrumental und intuitiv/ emotional. Wird Medienarbeit im Bereich Audio aktiv, so sollte sie diese Faktoren in ihren Konzepten und Projekten verankern.

Video und Multimedia sind „in“. Der pädagogische Alltag zeigt jedoch, daß in der Praxis nicht jedes Medium, nicht jeder Inhalt in jeder Altersstufe gelehrt werden kann. Insbesondere bei Kindern, also Personen, die jünger als zwölf bis vierzehn Jahre sind, wird in der Praxis schnell deutlich, daß

  • im Umgang mit dem PC das Spielerische überwiegt und erst bei älteren Kindern teilweise eine Auseinandersetzung mit dem Medium erfolgt,
  • der Umgang mit Bildern unreflektiert und kaum beeinflußbar ist.

In der Praxis geht mit Kindern jedoch die Audio-Arbeit leicht von der Hand. Die Beobachtung eines verträumt eine „Benjamin Blümchen“-Kassette hörenden Kindes findet hier ihr pädagogisches Pendant.

  • Audioarbeit ist einfach
    Audioarbeit wird mit einfachen Geräten, die leicht zu bedienen sind, durchgeführt. Audiotechnik schreckt hier nicht ab, sondern ist intuitiv nutzbar und daher leicht zu erlernen.
  • Audioarbeit schärft das Gehör
    Bei Audioarbeit spielen Sprache und Geräusche eine Rolle – die ungewohnte Sicht auf die Umwelt öffnet neue Sichtweisen. Töne, Geräusche, Klänge, Sprache können analysiert, getrennt, einzeln betrachtet und beliebig wieder zusammengefügt werden.
  • Audioarbeit ist schnell
    Aufnahme, Bearbeitung, Sendung: Bei einer Audioproduktion vergeht wenig Zeit. Schnitt und Nachbearbeitung erfolgen in kurzen Intervallen.
  • Audioarbeit konserviert Flüchtiges
    Geräusche können ihrer Flüchtigkeit entfliehen und festgehalten werden. Erst Festgehaltenes ermöglicht durch Wiederholung eine kindgemäße Analysemöglichkeit.
  • Audioarbeit macht Töne begreifbar
    In der Arbeit mit Tonband und Bandmaschinen können die Aufnahmen ganz handwerklich geschnitten werden. Die Bandlänge visualisiert die Länge der Aufnahme, Tonschnipsel und Toncollagen werden auch haptisch „begreifbar“.
  • Audioarbeit ist nicht auf Hörfunknormen beschränkt
    Audioformen außerhalb der allgegenwärtigen Radionorm, also auch Toncollagen oder Geräuschmusik, sind einfach zu erstellen.
  • Audioarbeit im Offenen Kanal ist offen für Experimente
    Experimente mit Tönen und Geräuschen, Rückkopplungen oder Verfremdungen von Stimmen, Soundscapes sind faszinierend und erlernbar. Ein Experiment ist leicht zu realisieren.
  • Audioarbeit fördert die Sprachfertigkeit
    Fast alles läßt sich in Worte fassen, muß sich bei Audio in Sprache fassen lassen. Die Beschränkung auf Worte fördert die volle Konzentration auf Sprache.
  • Audioarbeit fördert Phantasie
    Das Nichtvorhandensein des Bildes öffnet einen Raum für Phantasie und bietet deshalb einen großen kreativen Spielraum.
  • Audioarbeit unterstützt abstraktes Denken
    Die Notwendigkeit, Außenstehenden einen Zusammenhang rein sprachlich zu vermitteln, erfordert, je nach Einzelfall, ein hohes Abstraktionsniveau.
  • Audioarbeit führt kleine Projekte zu komplexe Handlungspaketen zusammen
    Von der Aufnahme kleiner Töne und Geräusche über deren Bearbeitung bis hin zu deren Einbindung in einen größeren Zusammenhang und der anschließenden Sendung entstehen Pakete, die zu einer Audioproduktion verbunden werden.
  • Audioarbeit schafft Erfolgserlebnisse
    Der Zusammenhang zwischen einer Tätigkeit und deren Erfolg wird kurzfristig hergestellt und als Erlebnis erfahrbar gemacht.

Die Möglichkeiten von medienpädagogischer Audioarbeit lassen sich also gut gerade auf die Anforderungen an den Umgang mit Kindern abstimmen – dies erklärt die guten Einsatzmöglichkeiten und bietet eine Grundlage für die differenzierte Auseinandersetzung mit Geräuschen, mit Sprache, mit Musik.

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3. Floh im Ohr und Fischauge – Ein neuer Ansatz ländlicher Medienarbeit

Das Praxisprojekt „Fischauge – das rollende Videocamp“ wurde 1996, 1997 und 1998 erfolgreich in den Kreisen Rendsburg-Eckernförde, Nordfriesland und Plön durchgeführt. Fischauge ist ein rollendes Videocamp. 4 Wochen zieht das Medienmobil im Sommer über’s Land. Auf Dorfplätzen errichtet es für jeweils 5 Tage ein Camp mit Großzelten, einer Bühne, Kameras, Schnittplätzen und 6 Mitarbeitern. Kinder und Jugendliche haben auf diese Weise in den Sommerferien die Möglichkeit, kompetent begleitet mit den Medien Video & Film zu arbeiten.

Fischauge bearbeitet Medienkompetenz sowohl technischer, als auch inhaltlicher und gestalterisch, dramaturgischer Art und lehnt sich in seinem Ansatz durchaus auch an Inhalte und Methoden ästhetische Erziehung an. Dabei ist Fischauge nicht einfach „Fernsehen auf dem Dorf“, sondern will ungewöhnlichen Blickweisen und Ansätzen Raum verschaffen, jugendliche Bilderwelten etablieren. Es gesteht den Jugendlichen zu bzw. fordert die Jugendlichen auf, außerhalb etablierter Fernsehnormen entstehende Bilder und Bildsequzenzen mit der angebotenen Technik und der Beratung durch das Mitarbeiterteam zu entwerfen und daraus eigene Filme zu kreieren.

Auf der Grundlage des Projektes Fischauge entwickelte das Projektteam 1998 ein Parallelprojekt für den Bereich Audio. Die Ansätze und Konzepte des Projekts Floh im Ohr sind also durchaus bewußt mit den Grundgedanken des Projekts Fischauge verwandt.

Floh im Ohr startete im Sommer 1998 erstmalig mit zwei Stationen im direkten ländlichen Umfeld der Stadt Lübeck und somit im Ausstrahlungsbereich des in Lübeck angesiedelten Offenen Kanals Lübeck – Hörfunk.

 

Im Folgenden werden zunächst die Arbeitsansätze des Projektes Fischauge dargestellt. Anschließend werden am Praxisprojekt Floh im Ohr die Überlegungen und Erfahrungen zu einem neuen Ansatz ländlicher Medienarbeit, bezogen auf Audioarbeit, gebündelt.

 

3.1. Merkmale Fischauge

Das Projekt Fischauge1  hat vier Standbeine:

Kommunikation

  • Fischauge thematisiert und bearbeitet direkte und mediale Kommunikation.
  • Fischauge bewegt sich im öffentlichen Raum.
  • Fischauge will im Dorf erkennbar sein.

Politische Bildung

  • Fischauge setzt sich mit den Themen des öffentliches Lebens auseinander.
  • Fischauge bezieht sich auf „lebendige“ Dörfer.
  • Fischauge läßt Jugendliche die ihnen bekannte Umgebung reflektiert wahrnehmen.
  • Fischauge befähigt Jugendliche zur Artikulation ihrer Interessen und Bedürfnisse.

Medienkompetenz

  • Fischauge regt an zur Nutzung von Medien außerhalb herkömmlicher Fernseh-Schemata.
  • Fischauge thematisiert Wahrnehmung und regt an zur Nutzung gewonnener Erkenntnisse.
  • Fischauge leistet ästhetische Erziehung.
  • Fischauge bietet experimentelle und journalistische Möglichkeiten.
  • Fischauge vermittelt Kenntnisse zur Nutzung von Medientechnik.
  • Fischauge macht mit Methoden der aktiven Medienarbeit Fernsehnormen transparent.

Jugendarbeit

  • Fischauge versteht sich als Jugendarbeit vor Ort und greift auf Methoden der Jugendarbeit zurück.
  • Fischauge schafft innerhalb seines Angebots eine Arbeits- und Freizeitstruktur.
  • Fischauge spricht Kinder und Jugendliche an.
  • Fischauge bietet einen sozialen Raum.
  • Fischauge ist als Camp fünf Tage ohne Unterbrechung im Dorf präsent, damit dauernder Ansprechpartner während des Projektes.
  • Fischauge benötigt als Medienprojekt dafür kompetente Mitarbeiter

 


1 dokumentiert in: Graue Reihe Nr. 12 „Fischauge ’96„, Nr. 15 „Fischauge ’97“ und Nr.18 „Fischauge ’98“ der Unabhängigen Landesanstalt für das Rundfunkwesen (ULR)

Geräuschejagt – mit einfachsten Rekordern querfeldein auf der Suche nach dem ultimativen Klang.

 

Insgesamt stellt sich das Konzept von Fischauge als ein Modell dar, in dem auf der Grundlage von Kommunikation mit Mitteln der Jugendarbeit Lernziele aus dem Bereich Politische Bildung und Medienkompetenz erreicht werden.

 

Modell 1: Arbeitsfelder Fischauge

Medienarbeit im ländlichen Raum erfordert eine besondere Herangehensweise. Insofern verlegt das 1998 bereits zum dritten Mal veranstaltete rollende Videocamp Fischauge nicht nur bekannte Konzepte der Medienarbeit und der Medienpädagogik auf Dorfplätze, sondern geht differenziert auf die Gegebenheiten des ländlichen Raumes ein.

 


„Abhören“ der frischen Aufnahmen voller Spannung wird gelauscht, kritisiert, gejubelt

 

Modell 2: Ländlicher Raum und Fischauge

Situation der Medienarbeit im ländlichen Raum Konsequenzen Ergebnis
Fehlende Infrastruktur in der nicht-verbandlichen Jugendarbeit. Fischauge schafft einen Raum, eine Heimat vor Ort und auf Zeit. Jugendliche nutzen Raum für Kreativität und Kommunikation.
Keine professionell ausgebildeten pädagogischen Kräfte vorhanden. Fischauge stellt eigene Mitarbeiter. Das Dorf setzt sich mit neuen Konzepten in der Jugendarbeit auseinander.
Kaum Auseinandersetzung mit neuen Inhalten oder mit neuen pädagogischen Konzepten. Umsetzung im ländlichen Raum funktioniert nur teilweise. Fischauge

  • schlägt alternative Konzepte vor,
  • zeigt, daß diese umsetzbar sind und
  • steht für Diskussionen bereit.
Fischauge stellt sein Angebot autark zur Verfügung, es muß sich verbandlichen, kommunalen oder Vereinszwecken nicht unterwerfen. Die ganze Kommune, der Bürgermeister, die Gemeindevertretung, identifizieren sich mit Fischauge, um eine organisatorische Basis zu gewährleisten, da Fischauge von außen initiiert ist.
Bilder und Töne sind von spezifischen Erfahrungen geprägt. Alltagsthemen werden aus der Medienwelt übernommen, lokale Themen sind oft „out“.


Kinder und Jugendliche befinden sich im Spannungsfeld zwischen Schul- und Medienwelt einerseits und Alltagswelt andererseits.

Durch das Medium wird Lokales, Menschen, Geschichte zum Thema.

Fischauge thematisiert das Dorf und verbindet „nahe“ Themen und „ferne“ Medien.

Fischauge im Dorf ermöglicht Mediennutzung im Alltagsraum

Jugendliche können ihre Themen tatsächlich vor der eigenen Haustür entwickeln, erarbeiten, recherchieren, produzieren und schließlich auch präsentieren.


Jugendliche und Kinder haben den Hintergrund ihres Zuhauses, d.h. ihrer Familie und der Dorfgemeinschaft in der gesamten Projektdauer.

 

3.2 Merkmale Floh im Ohr

Wie Fischauge baut auch Floh im Ohr auf vier Standbeinen auf: Kommunikation, Politische Bildung, Vermittlung von Medienkompetenz, Jugendarbeit. Auch wenn Floh im Ohr wegen seiner Konzentration auf das Hören bzw. Tonproduzieren eine andere Sichtweise hat als Fischauge, so sind doch die Grundlagen eng aneinander angelehnt.

3.2.1 Kommunikation

Hörfunk, Floh im Ohr, hat gezielt mit Kommunikation zu tun. Kommunikation ist ein Strukturelement, das Gesellschaft seit ihren Anfängen ausmacht und inzwischen als vertechnisierte, konsumierbare und verkaufbare Ware genutzt wird. Auseinandersetzung mit Kommunikation führt zu deren bewußten Nutzung, sowohl auf der Sende-, als auch auf der Empfängerseite.

Auch wenn Kommunikation normalerweise Bild und Ton und „Atmosphäre“ beinhaltet, so bringt doch schon die Befassung mit dem auditiven Aspekt der Kommunikation wichtige Erkenntnisse. In der Produktion erfolgt eine angeleitete Auseinandersetzung mit Funktionsweisen und Abläufen von Informationsvermittlung sowie den einzelnen Kommunikationswegen bzw. der Gestaltung dieser einseitigen medialen Kommunikation.

Floh im Ohr thematisiert und bearbeitet direkte und
mediale Kommunikation
Floh im Ohr will Kommunikation auf zwei Ebenen ermöglichen.

 

Modell 3: Kommunikationsebenen

Medienebene Über das Medium kommunizieren die Kinder und Jugendlichen mit den Hörern der Sendung.
Basisebene
Real,
also durch Sprache ohne weitere mediale Unterstützung, kommunizieren
  • die Jugendlichen durch ihre Produktion untereinander,
  • mit Gesprächspartnern während der Aufnahmen und
  • den realen Besuchern, dem Dorfpublikum während der öffentlichen Abschlußpräsentation.

 

Durch die Möglichkeit des Hörfunks, mit geringem Aufwand Live-Sendungen zu ermöglichen, und der Auswahl der Projektorte innerhalb des Sendebereichs des OK Lübeck, ist es mit Floh im Ohr gelungen, mediale und persönliche Kommunikation während der Projektzeit zu ermöglichen. Aber auch während der Vorbereitung der Sendung ist das Merkmal von Floh im Ohr die direkte Verquickung medialer und non-medialer Kommunikation. Geräusche und Gespräche aufnehmen, gleich anschließend abhören und am selben Tage noch bearbeiten – das macht deutlich, wie Kommunikation funktioniert. Gleichzeitig ist eine kurzwegige Rückkopplung zwischen den Kommunizierenden möglich: Es ist einfach, Gespräche noch einmal zu wiederholen, wenn die Aufnahme nicht gelungen ist, die Aufgenommenen schauen aber auch oft ins Camp und hören sich die Ergebnisse an.

Floh im Ohr bewegt sich im öffentlichen Raum.

Beim Radiocamp Floh im Ohr sind die gesamten Prozeßabläufe der Erstellung eines Hörfunkbeitrags und auch das Campleben öffentlich. Das Camp steht mitten auf dem Dorfplatz und bildet mit Großgruppenzelten, der mobilen Bühne und zwei Kleintransportern eine offene Wagenburg. Die gesamten Arbeitsabläufe einer Hörfunkproduktion, Geräuschexperimente, erste Anfänge, die Tonbandeinführung, technische Erläuterung, die Diskussion in den Gruppen selbst, die Ideenfindung oder das Basketballspiel von Jugendlichen auf dem Campgelände finden öffentlich statt. Jeder, Eltern, Freunde oder auch Dorfbewohner, wird ohne Hemmschwelle zum Besucher, kann Fragen stellen, Einblick nehmen. Jeder kann nicht nur ein Gespräch mit den Mitarbeitern führen, sondern auch den Umgang der Jugendlichen mit dem ungewohnten Medium, mit den Cassettenrekordern, das Sichten ihrer Aufnahmen, also ihren Produktionsprozeß, erleben. Nicht selten ist es das erste Mal, daß Jugendliche sich außerhalb eines Vereins an einem festen Werk, an einem Produkt, arbeitend präsentieren, Ideen entwickeln und diese selbst umsetzen. Weiterhin bieten sich Themen des öffentlichen Lebens, die Befassung mit Umwelt und Mitmenschen als filmisches Thema ohne Hemmschwelle an. Direkt auf dem Marktplatz zu produzieren heißt auch, sich den Menschen, dem Dorf medial zu stellen und anzunähern.

Wesentlich ist deshalb für diesen Ansatz, die Öffentlichkeit und dabei natürlich vor allen Dingen die Bewohner des Dorfes und ihre eigene Neugierde an der Arbeit schon vor der Präsentation der Jugendlichen ein wenig in das Projekt einzubinden. Bei der Präsentation geht es natürlich vorrangig darum, daß abgeschlossene, selbständig produzierte Werk der Öffentlichkeit vorzuführen. Einblicke in den Arbeitsprozeß können hier nur am Rande gegeben werden. Der Hörfunk, dessen Normen im Verlauf im Projektes ohnehin im Hintergrund gehalten werden, tritt hier also auch hinter die öffentliche Präsentation, hinter die Live-Sendung, auf dem Dorfplatz zurück

Floh im Ohr will im Dorf erkennbar sein.

Floh im Ohr ist wider den Alltag gebürstet – die Medienwagenburg, die Aktivitäten der einheimischen Kinder und Jugendlichen, allein die Tatsache, daß aus einem Dorf berichtet wird, sind vor Ort unüblich. Da die Aktion nur vier Tage dauert, muß sie auch im Ort erkennbar sein, will gerne Dorfmittelpunkt sein, damit der nicht-Alltag deutlich wird. Auch nur als tatsächlicher Stolperstein kann die beabsichtigte Durchmischung von medialer und non-medialer Kommunikation, die das Projekt benötigt und hervorruft, erzielt werden.

Die Erkennbarkeit des Projekts im Dorf ist dabei mehr als eine reine PR-Maßnahme für das Projekt oder für den Offenen Kanal.

  • Für die Gewinnung von Teilnehmerinnen und Teilnehmern ist es natürlich erforderlich, daß vor dem Projekt durch Handzettel und Plakate in den Dorfgeschäften auf das Projekt hingewiesen wird und auf die Möglichkeit, daß dort Hörfunk selbst gemacht werden kann.
  • Während des Projekts soll das Camp und seine Auffälligkeit dafür sorgen, daß nur wenigen die Anwesenheit des Radiocamps entgeht. Der Hintergrund der Arbeit der Jugendlichen muß bekannt und eingeführt sein. Das Mediencamp dient auch als Legitimation für die Reportagearbeit.
  • Begleitende Berichterstattung in den Printmedien und Hinweise im OK Lübeck sollen auf den Sendetermin hinweisen.
  • Die Sendung selbst ist natürlich auch ein -akustischer- Stolperstein und gehört zum Ansatz des transparenten Produktionsprozesses dazu.

 

3.2.2 Politische Bildung

Auch wenn die Diskussion um die Eigenart von Politischer Bildung nie abgeschlossen ist und auch nicht sein kann, so ist doch immer der Konsens die Grundeigenschaft der Politischen Bildung als Elixier der Demokratie. Das Ergebnis von Politischer Bildung ist somit der politisch informierte Staatsbürger,
  • der sein Wahlrecht gezielt einsetzt,
  • der sich bewußt in der Demokratie engagiert und der
  •  politische Entscheidungen mitsteuert und mitträgt.

Für Jugendliche ist Politische Bildung oft ausschließlich Schulfach und daher eher mit Makeln behaftet. Floh im Ohr kann durch den Reiz eines Radiocamps Kinder und Jugendliche mit Politischer Bildung befähigen, an der Gesellschaft aktiv und gestaltend zu partizipieren.

Floh im Ohr setzt sich mit den Themen des öffentliches
Lebens auseinander.

Politische Bildung bedeutet auch, sich mit – bisher teilweise unbekannten – Themen, mit ungeliebten und unbequemen Aspekten, beispielsweise der geschichtlichen Vergangenheit des Dorfes, auseinanderzusetzen. Themen außerhalb des Gesichtsfeldes der Jugendlichen durch ein Medium aufzugreifen, bietet pädagogisch und praktisch besondere Möglichkeiten. Methodisch werden Jugendliche dann bei von den Mitarbeitern möglichst jugendgerecht an das Thema herangeführt. Wichtig aber immer wieder: Jugendliche begeben sich mit Rekorder und Mikrofon in thematische Bereiche, in Lebensumfelder, die ihnen sonst verborgen blieben. Darüber hinaus präsentieren sie ihren noch neu gewonnenen Blick frisch und in einem abgeschlossenen Produkt ihrer Umwelt, der Öffentlichkeit.

Einflüsse von Schule und Umwelt, erstmalig formuliert, werden von den Jugendlichen in einem ihnen adäquaten Medium umgesetzt. Dies versteht sich durchaus auch als Bewußt­werdung von Ansichten und Meinungen, der Formulierung von Positionen und deren Begründung, der Umsetzung von Themen und Gedanken der Jugendlichen. Letztlich führt dies natürlich zu einer tieferen Auseinandersetzung mit den Inhalten, und die Forderung nach der Einrichtung eines Jugendtreffs wird von Jugendlichen über die Erstellung des Beitrags neu reflektiert, Möglichkeiten des Mediums über „Meinungsmache“, zur gezielten, beeinflussenden Artikulation werden vielleicht erstmalig erfahren.

Auch die kommunalen Politiker, die Erwachsenen, erleben eine bereits bekannte Forderung vor einem anderen Hintergrund. All das bedeutet eine andere Facette jugendlichen Lebens. Daraus resultierende Ansprüche und Forderungen, die an die Dorfgemeinschaft insgesamt herangetragen werden, würden sonst kaum jugendgerecht artikuliert werden können.

Floh im Ohr bezieht sich auf „lebendige Dörfer“.

Der Gegensatz Stadt und Land spielt sich mitnichten als entweder/oder-Entscheidung ab. Die Modernisierung des nicht-städtischen Raumes hat auf dem Lande sehr differenzierte Siedlungsformen hervorgebracht. An das System der zentralen Orte nach Christaller angelehnt, hat die Raumordnung die existierenden ländlichen Funktionen beschrieben und die Beziehung der Gebietskörperschaften Land/ Kreis/ Gemeinden untereinander reguliert. In der Praxis finden sich aber außerhalb der Städte viele gleich aussehende Punkte auf der Landkarte, die völlig unterschiedlich funktionieren. Nicht nur in direkter Umgebung der Städte ist wegen der Mobilität der Bevölkerung an vielen Stellen eine Besiedlung entstanden, die wie eine Vorstadt aussieht, jedoch weit weg von den eigentlichen Städten ist. Auch die Siedlungspolitik nach 1945 und die Unterbringung der Flüchtlinge hat zu speziellen Siedlungsformen geführt.

Ein „lebendiges Dorf“ ist für die Konzeptionen von Fischauge und Floh im Ohr ein Dorf,

  • das historisch gewachsen ist, Gebäude aus verschiedenen Entstehungsperioden hat,
  • durch eine seiner Größe angemessenen Infrastruktur gekennzechnet ist.
– Versorgungseinrichtungen (Laden, Gaststätte, ein
oder zwei Kleineinrichtungen),
– soziale Infrastruktur (Grundschule, Kindertagesstätte,
Kirchengemeinde),
– Verkehrsinfrastruktur (Erreichbarkeit und nicht
Zerschneidung durch übergeordnete Straßen),
– soziale Mischung (Alter, Herkunft, Einkommen) statt
sozialer Homogenität,
– ein erkennbares und vielfältiges politisches und
soziales Kommunalleben.

Ein auf diese Weise beschriebenes „lebendiges Dorf“ hilft, im Gegensatz beispielsweise zu einer Nachkriegssiedlung, bei der Realisierung eines Projektes auf verschiedenen Wegen:

  • Ein „lebendiges Dorf“ ist mehr als eine besonders schöne Kulisse. Gelebte soziale und räumliche Strukturen ergeben einen anderen Hintergrund für thematische Arbeit.
  • Die Unterschiedlichkeit der Sozial- und Infrastruktur verursacht eine Durchmischung der Teilnehmergruppe und ist somit die Grundlage für tatsächliche Kommunikation zwischen den Teilnehmern.
  • Die Reaktion des Dorfes auf Medienaktivitäten ist in einem „lebendigen Dorf“ naturgemäß lebendiger und vielfältiger als an anderer Stelle.
  • Schließlich hat die Erfahrung gezeigt, daß in einem „lebendigen Dorf“ die Gemeinschaft sich für ein Projekt engagiert und dieses auch unterstützt, das Projekt auf Zeit in seine Gemeinschaft aufnimmt.

Bestehende Jugendarbeit ist absolut kein Muß für die Arbeit von Floh im Ohr. Sie schafft jedoch ein Fundament. Da die aktive Medienarbeit nicht zur Mediensozialarbeit, zum bloßen Hantieren mit der Kassettenrecorder statt Billard oder Tischtennis degradiert werden soll, kann ein Mediencamp ein bestehendes Defizit an Jugendarbeit oder Jugendsozialarbeit nur am Rande bearbeiten.

Floh im Ohr läßt Jugendliche die ihnen bekannte Umgebung reflektiert wahrnehmen.

In den Produktionen Jugendlicher finden sich die Erwachsenen, Eltern, Freunde, Bekannte, die Dorfbewohner, oft natürlich als Inhalt wieder. Bei der Live-Sendung erleben sie Statements des Bürgermeisters, Straßenumfragen zum neuen geplanten Supermarkt im Dorf oder besuchen gemeinsam das Wohnzimmer einer Großmutter, die in einem Gespräch Einblicke in das Dorfleben vor 50 Jahren gewährt. Daneben laufen natürlich die fiktionale Produktionen, wie die Hörspiele und Einspielbeiträge mit bekanntem und den Einwohnern wohl vertrautem Hintergrund. Medienarbeit/ Audioarbeit dient dabei immer auch als Katalysator. Tabus können erprobt und gebrochen werden, Leute und Orte werden mit der Legitimation der Recherche erkundet und entdeckt.

Floh im Ohr befähigt Jugendliche zur Artikulation ihrer
Interessen und Bedürfnisse.

Interessen (objektiv) und Bedürfnisse (subjektiv) von Kindern und Jugendlichen sind immer vorhanden. Diese Interessen und Bedürfnisse jedoch präzise zu formulieren, und dieses im Dialog mit Jugendlichen, fällt nicht nur Pädagogen, nicht nur auf dem Land, schwer. Jugendliche sind zudem oft kaum in der Lage, ihre Interessen dezidiert zu beschreiben, wohl aber fähig, ihre Bedürfnisse, die aus der konkreten Situation geboren sind zu formulieren. So wird in vielen Orten der Ruf nach einer Skater-Bahn laut, ob das jedoch die Interessen der Jugendlichen nach Bewegung und Kommunikation abdeckt oder nur eine Modeerscheinung ist, ist von Ort zu Ort unterschiedlich.

Die Möglichkeit, andere Jugendliche, aber auch Erwachsene, über das Dorf, über die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen zu befragen, läßt neue Kenntnisse über das eigene Dorf entstehen.

  • Manche Kinder und Jugendliche erleben das erste Mal, daß sie ähnliche Interessen wie andere haben.
  • Über die Frage „Wie nehme ich das auf?“ ist für manche auch der Ausflug mit dem Mikrofon die erste Auseinandersetzung mit der Artikulation dieser Interessen; Argumentationsschemata werden entworfen und erprobt.
  • Die Bearbeitung von Audiodokumenten führt zu einer Diskussion über die Prioritäten des Gehörten, schließlich zu einer Auswahl und damit zu einer Schwerpunktsetzung.
  • Mit einem Dokument, dem Radiobeitrag, als Produkt, in dem Erwachsene oder sogar Dorffunktionäre/ Bürgermeister mit den Ergebnissen von Aufnahmen konfrontiert werden, erleben Kinder und Jugendliche oft zum ersten Mal eine Reaktion Erwachsener auf die Artikulation ihrer Interessen und Bedürfnisse. Dies führt schließlich zu einer politischen Interaktion.
  • Schließlich bezieht sich der Bericht der lokalen Printmedien oft auf die Abschlußveranstaltung, somit auch auf die Inhalte einzelner Produktionen. Jugendliche erleben, daß ihre Anliegen auch von anderen Medien ernstgenommen und aufgegriffen werden.

Schnitt an der Bandmaschine – technisch ein „Kinderspiel“

 

3.2.3 Vermittlung von Medienkompetenz
Durch den technischen Fortschritt, durch die – zumindest in der Technologiedebatte – Dominanz des Internet bei der Diskussion von Medien, spielt der Ton, wenn auch heutzutage als digitale Datei, eine oft unterbewertete Rolle. Über „Real Audio“ ist zwar inzwischen eine Liveübertragung von Sendungen, wenn auch in noch ausbaufähiger Qualität, weltweit möglich. Auch Tonbearbeitungsprogramme versuchen, Tonbänder imitierend, Nachbearbeitungsmöglichkeiten anzubieten, die mit dem Tonband kaum möglich sind.

Selten bietet Fernsehen ein Bild ohne Ton an. Oft gibt es jedoch einen Ton ohne Bild, oft ist der Ton auch auslösendes Signal für ein zu erwartendes Bild, und wenn es beim Einschalten eines PC ist. Der Ton ist also aus einer Multimedia-Diskussion nicht wegzudenken, sollte vielmehr bei der Vermittlung von Medienkompetenz eine größere Rolle als bisher spielen.

Floh im Ohr regt an zur Nutzung von Medien außerhalb
herkömmlicher Hörfunk-Schemata.

Vom Ton zur Klangtapete ist es oft nicht weit. Kaufhäuser setzen „MUZAK“ (ein Satellit sendet Kaufhausgedudel) als Kaufimpuls verstärkendes, enthemmendes Werkzeug ein. Diskussionen der Musikredakteure bei Privatradios drehen sich um die Frage, mit welcher Musik die Hörer auf den Sender süchtig gemacht, wie sie bei der Stange gehalten werden können, um auch noch den nächsten Werbespot abzuwarten, zu ertragen. Auch der öffentlich-rechtliche Hörfunk kann sich durch die Konkurrenzsituation derartigen Entwicklungen nur schwer entziehen.

Die tiefe Prägung von Kindern und Jugendlichen ist durch die Allgegenwart des Tones, des konsequenten Einsatzes des Tones als Hintergrund für die Bewältigung von Lebenssituationen, umfassend und allgegenwärtig. So überrascht es nicht, daß Kinder und Jugendliche, wenn sie Audioaufnahme- und -bearbeitungs­geräte in die Hand bekommen, als erstes versuchen, Bekanntes nachzumachen. Schließlich können sich auch Erwachsene nicht der Versuchung entziehen, einmal wie Carlo von Tiedemann zu sein.

Quer zu hören, Töne differenziert wahrnehmen und schließlich zu produzieren, führt über die Auseinandersetzung mit dem Gehör zu einem bewußten Umgang damit. „Warum macht Ihr das eigentlich genauso wie …….?“, führt nicht nur zu anderen Produktionen, führt, auch nach Beendigung von Floh im Ohr, zu anderem Hören.

Floh im Ohr thematisiert Wahrnehmung und regt an zur
Nutzung gewonnener Erkenntnisse.

Die Hörkompetenzen Kinder und Jugendlicher sind durchaus vorhanden und ausgeprägt. Dies allerdings gleich weniger bewußt, reflektiert, bearbeitet, umgesetzt, ausgelegt als im visuellen Bereich. Die Imitation einer Fernseh-Comedy-Show, die mit ihren unterschiedlichen Elementen schon relativ komplex angelegt ist, ist für Jugendliche in den 90er Jahren sehr viel einfacher als die Reproduktion einer ähnlich komplex angelegten Hörfunksendung mit unterschiedlichen Bausteinen.

Die Möglichkeit, Töne selbst zu produzieren und dann aufzunehmen, oder auch auf Tonsuche mit einem Aufnahmegerät zu gehen, eröffnet Kindern und Jugendlichen erst die Möglichkeit, komplexe Töne in deren Einzelteile zu zerlegen und diese Einzelteile dann zu erkennen. Die Tonproduktion führt somit zu neuen Analysemöglichkeiten von Gehörtem.

Töne bewußt wahrnehmen heißt aber auch, Töne nach – individuellen oder als Gruppenkonsens erlebten – Kriterien zu bewerten. Bei welchem Ton fühle ich mich wohl, was aktiviert mich, was läßt mich zur Ruhe kommen? Eine Sensibilisierung der Sinne führt auch aus dem diffusen Gefühl zur Formulierung von Wahrnehmung und kann daneben aber auch ganz neue Ebenen des Hör- Sinnes erschließen. Erst das Wissen um die Wirkung von Tönen und deren Bewertung führt schließlich dazu, sich auch bewußt für oder gegen Töne zu entscheiden, sich die Anwesenheit von Tönen zu wünschen oder sich zu verbitten.

Floh im Ohr leistet ästhetische Erziehung.

Unabhängig von vermutetem oder tatsächlichem technischen Wandel der nächsten Jahre wird es eine Konstante geben, die Medienästhetik. Ebenso, wie es unterschiedliche Vorstellungen darüber gibt, wie ein „gutes“ Bild aussieht, ist auch die Frage, was ein „guter“ Klang ist, natürlich diskussionsfähig, spätestens dann, wenn sich mehrere Töne aufeinander beziehen. Die „Zwölftonmusik“ hat lange nicht so viele Freunde wie Symphonien von Mozart oder Beethoven – Tonharmonie kann relativ sein.

Ästhetische Tonerziehung

  • baut auf reflektierter Wahrnehmung auf,
  • diskutiert, problematisiert Tonharmonie,
  • stellt Analyse- und Bewertungsmodelle vor, macht sie an Beispielen deutlich und nachvollziehbar und
  • gibt auf diese Weise schließlich Wertungsmaßstäbe an die Hand.Auch wenn Tonästhetik abstrakter ist als visuelle Ästhetik, ist allein das Bewußtsein, daß Ästhetik und Harmonie diskussionsfähige Fragen sind, wichtig. Und schließlich kann auch der Aufbruch in die Multimedia-Welt nicht ohne eine ästhetisch ansprechende, mindestens aber bewußt wahrgenommene und reflektierte auditive Ebene funktionieren.→ Floh im Ohr bietet experimentelle und journalistische
    Möglichkeiten.Mit Tönen ist es wie mit allem anderen: Erst die Kenntnis des Normalen läßt erkennen, was das Experiment ist. Floh im Ohr geht deshalb von folgendem Modell aus:

 

Modell 4: Arten und Methoden Floh im Ohr

Das journalistisch Übliche

bildet die Grundlage für die Produktion von Tonfolgen.

Das journalistisch Denkbare

bezieht sich darauf.

Übrigens: in diesem Rahmen ist auch eine Diskussion der kommerziellen

Medienstruktur möglich.

Experimentelles

stellt das dar, was einhellig als Hörfunk weder üblich noch denkbar ist, wohl aber Klänge und deren Herstellung thematisiert.

In der Praxis können dabei beide Wege gegangen werden. Der Einstieg über existierende journalistische Möglichkeiten (im Modell von links nach rechts) ist eher konventionell und für mit höheren Absorptionsfähigkeiten ausgestattete ältere Jugendliche geeignet. Das Tonexperiment (im Modell von rechts nach links) ist oft dem Spielerischen verhaftet und bietet somit gute, der entwicklungspsychologischen Situation von Kindern und Jugendlichen entsprechende, Möglichkeiten, um einen Einstieg in die Beschäftigung mit Tönen zu finden.

Sowohl Floh im Ohr als auch Fischauge erschließen jedoch durch gezielte Angebote beide Richtungen der Herangehensweise für alle Altersgruppen: Ungewöhnliche Bildformen (siehe auch Broschüre „Fischauge ’98- TycoCams“) bzw. Ton- und Klangexperimente werden auch schon zu Beginn angeboten oder als Quereinstieg für Nachzügler genutzt. Parallel zur ersten Themenfindung bieten die „Tontische“ und die unterschiedlichen Bearbeitungsaspekte nutzende „Klang-Küche“ einen Einstieg ins Medium Audio, der auch Jugendlichen Möglichkeiten außerhalb der journalistischen Hörfunk-Arbeit bietet. Medienkompetenzvermittlung beinhaltet notwendigerweise auch immer das Aufzeigen der „Rechtmäßigkeit“ dieser weniger etablierten Formen eines Mediums. Die Beschäftigung mit dem Experiment macht dabei auch deutlich, daß Bekanntes und Übliches mitnichten den Spielraum des Möglichen ausschöpft und läßt später eine Verknüpfung beider Ebenen möglich erscheinen.

Floh im Ohr vermittelt Kenntnisse zur Nutzung von
Medientechnik.

pffffh, pffffh – einfache Technik ermöglicht Konzentration auf Ideen und Inhalte
Die Beherrschung der Medientechnik ist die Voraussetzung für ihre Nutzung. Medientechnik allerdings ändert sich schneller als das im pädagogischen Alltag nachvollziehbar ist. Sie ändert sich aber auch oft völlig unerwartet. Eins jedoch ist gewiß: Kinder und Jugendliche werden gerade die Medientechnik, die sie heute kennenlernen, garantiert nicht später im Beruf brauchen können. Medientechnisches Lernen muß deshalb so erfolgen, daß es Strukturen und Ausprägungen vermittelt.

 

Modell 5: Modulares technisches Lernen

Die zur Verfügung stehende Medientechnik kann als eine denkbare Bedienoberfläche zur Tonbearbeitung genutzt werden
Einfache Tonexperimente („Dosentelefon“) bewirken dabei ein tieferes Verständnis der physikalischen Zusammenhänge und sensibilisieren Wahrnehmung und Kreativität.
Die Grundlage für das Verständnis von Medientechnik ist das Verständnis ihres physikalischen Zusammenwirkens, bzw. des Zusammenspielens der Einzelkomponenten („Das Mikrophon verwandelt ein akustisches in einen elektromagnetisches Signal“ oder beispielsweise der Audioschnitt).

 

Wichtig ist beim technischen Lernen, daß die aktuelle Bedienoberfläche hinterfragt werden kann und den Teilnehmern bewußt ist, daß dies nicht die einzig mögliche ist. Pädagogisch genutzte Medientechnik muß deshalb – insbesondere von der Struktur her – modular aufgebaut sein. Erkenntnisse, die bei der Benutzung einfacher Geräte gewonnen werden, müssen direkt auf die Benutzung komplizierterer Geräte übertragbar sein.

Floh im Ohr macht mit Methoden der aktiven Medienarbeit
Hörfunknormen transparent.

Die Methode der aktiven Medienarbeit hat sich im Alltag des Offenen Kanals als effektiv und motivierend erwiesen. Transparenz der Produktionsabläufe entsteht durch das „Selbermachen“.

 

Modell 6: Methode in der aktiven Medienarbeit und Produktionsablauf

Idee Konzept Produktion Sendung/ Rezeption Reaktion
Sach- kompetenz Partizipations- kompetenz Rezeptions- kompetenz

 

Zwar erfordert aktive Medienarbeit einen höheren Material- und Organisationsaufwand als die allein sprachliche Befassung oder ein Vortrag mit Medienunterstützung. Entsprechend den Erkenntnissen der Lerntheorie ist jedoch der Lerneffekt dann am größten, wenn durch die Selbstbefassung und Selbstbeschäftigung die Lernprozesse auf Eigeninitiative zurückgehen.

Lernende behalten durchschnittlich etwa

20% von dem, was sie nur gehört haben,
30% von dem, was sie nur gesehen haben,
50% von dem, was sie nur gehört und gesehen haben,
70% von dem, was sie selbst gesagt haben,
90% von dem, was sie mitdenkend erarbeitet und selbst ausgeführt haben.

Die Befassung mit Medien über die Methode der aktiven Medienarbeit führt letztendlich dazu, daß (siehe Modell 4) über das Herkömmliche Experimentelles entdeckt wird und dadurch Konventionen transparent und hinterfragbar werden.

Camp-Charts – per Umfrage wird der Hit des Dorfes erfragt …
und natürlich gleich gesendet

 

3.2.4 Jugendarbeit

Floh im Ohr versteht sich als Jugendarbeit vor Ort und
greift auf Methoden der Jugendarbeit zurück.

Jugendarbeit hat sich üblicherweise neben einem pädagogischen Konzept innerhalb von sechs Strukturfeldern zu bewegen

 

Modell 7: Strukturfelder Jugendarbeit

Motivation Die Notwendigkeit interner Motivation zwingt die Verantwortlichen zu adäquater Adressatenansprache.
Zeitrahmen Ohne 45-Minuten-Schul-Rhythmus kann Jugendarbeit die mediale Betätigung dem Zeitbudget der Jugendlichen anpassen.
Finanzierung Engagement der Jugendlichen für Projekte schlägt sich oft in besserer Behandlung und Auslastung der Geräte nieder.
Mitarbeiter Teamarbeit entspricht eher Medien-Produktionsbedingungen als eine Hierarchie, setzt Kreativität frei und fördert soziale Kompetenz.
Kontinuität Projekte werden abgeschlossen, bevor neue angegangen werden. Medienarbeit und Jugendarbeit gehen hier gleichartig vor.
Curriculum Die Themen, die Jugendarbeit ohnehin behandelt, können über Medien interessanter vermittelt werden, als ohne.

 

Das pädagogische Konzept von Floh im Ohr hat als

  • Lernziel die Vermittlung von Medienkompetenz und politischer Bildung auf verschiedenen Ebenen.
  • Orientiert sich dabei an der Methode der aktiven Medienarbeit.
  • Nimmt dabei den ganzen Menschen mit Freizeit und Arbeitsbedürfnissen ins Auge.

Für das Medium Audio ergeben sich jedoch auch im ländlichen Raum einige wichtige Änderungen und Ergänzungen. Auch Floh im Ohr arbeitet im Dorf.
Modell 8: Pädagogischer Ansatz Floh im Ohr

So läuft es bei einem Seminar Da liegt das Problem So löst Floh im Ohr das auf
Lage nach Beherbergungsort ausgesucht. Bezug auf Dorf zufällig. Im Dorf möglichst zentral vor Ort.
Ablauf steht bei Beginn fest. Alltagstermine der Jugendlichen verhindern Teilnahme. Zeitplan kann mit jedem Produktionsteam variiert werden.
Teilnahmegebühren Soziale Segregation der Teilnehmer. Ist für die Jugendlichen kostenlos.
Seminare werden für Kinder + Jugendliche + junge Erwachsene oft getrennt angeboten. Keine Annäherung, kein thematische Austausch der unterschiedlichen Arbeitsgruppen. Arbeitet mit Jugendlichen im Alter von 8 bis 20 Jahren und hält dafür unterschiedliche methodische Ansätze bereit.
Feste Seminarzeiten
  • keine Freizeitstruktur,
  • eingeschränkter Kreativ- und Arbeitsraum.
  • Ist als durchgängig präsentes Camp strukturiert. Die Mitarbeiter wohnen in den Zelten, sind auch über Nacht verfügbar.
  • Keine Öffnungszeiten
Methoden stehen bei Tagungsbeginn fest. Eingeschränkte Möglichkeit individueller Arbeitsstile. Das Camp bietet inhaltlich und gestalterisch den größtmöglichen Freiraum.
Thema steht bei Tagungsbeginn fest. Themen vor Ort spielen eine geringe Rolle. Floh im Ohr arbeitet thematischen offen und ermöglicht den Teilnehmern die Festsetzung der Schwerpunkte.

 

Floh im Ohr ist als Camp fünf Tage ohne Unterbrechung im Dorf präsent.

Auch pädagogisch begleitete Lernprozesse sind Kommunikationsvorgänge. Den Anspruch von Floh im Ohr, während der Projekttage Teil des Dorfes und zugleich Heimat für Jugendliche inmitten des Dorfes zu sein, erfordert, daß die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter während der Projektzeit selbst auch Teil des Dorfes sind.

Eine wichtige Rolle fällt der „Camp-Architektur“ zu. Das meint eine klare Gliederung der Angebote und auch eine klare räumliche Abgrenzung der unterschiedlichen, zeitgleich verlaufenden, Projektbausteine zueinander. Die Angebote und ihre unterschiedlichen Möglichkeiten müssen jederzeit für den Jugendlichen transparent präsentiert werden.

Floh im Ohr schafft innerhalb seines Angebots eine Arbeits- und Freizeitstruktur

Die Arbeit am und mit dem angebotenen Medium Audio steht natürlich im Mittelpunkt des Projektgeschehens. Nach der Erkundung des Mediums, Hörexperimenten oder der Einführung in die Technik der Aufnahmegeräte steht die Produktion selbst im Blickpunkt. Von der Diskussion der ersten Ideen bis zum Schnitt und zur Nachbearbeitung nimmt diese Arbeit den Hauptteil der Tage ein. Mit der Klang-Küche und den Tontischen stehen experimentelle Dauerangebote zur Verfügung, die außerhalb des jeweiligen Hauptwerkes genutzt werden können, das Camp ist jedoch auch für Freizeitaktivitäten geöffnet. Die Mitarbeiter bleiben auch abends vor Ort, schlafen in den Zelten und Fahrzeugen und ermöglichen so, ohne regulierende Öffnungszeiten auszukommen. Neben der Medienarbeit finden so auch ein Lagerfeuer, gemeinsames Kochen, Basketballspiel oder eine spontane Nacht-Produktion statt. Freizeit und Medienarbeit werden angenähert, das Camp bleibt durch seine nonmedialen Angebote dabei auch für Nachzügler attraktiv, die erst einmal schnuppern wollen.

Floh im Ohr spricht Kinder und Jugendliche an

Kinder und Jugendliche sind neben individuellen und gruppentypischen Interessen und Bedürfnissen gekennzeichnet durch altersspezifische Denkweisen und Entwicklungseigenschaften.

 

Modell 9: Denken und Entwicklung Heranwachsender

Alter Denken Sozial-kognitive Entwicklung
7-8 Fixiert
Es gibt für jede Situation nur eine Handlungsweise oder Beurteilung.
Egozentrische Fixierung auf die eigenen Bedürfnisse unter Vermeidung von Strafe.
9-10 Isolierend
Alternativen kommen ins Blickfeld, werden jedoch isoliert bewertet.
Orientierung an den eigenen Bedürfnissen unter Beachtung der Interessen anderer.
11-12 Konkret-differenzierend
Vor- und Nachteile werden unverbunden abgewogen, Vorteilsmaximierung.
Orientierung an der Erwartung von Bezugspersonen und Bezugsgruppen.
13-15 Systematisch-kriterienbezogen Systematische Abwägung von Kriterien wird vorgenommen. Orientierung am sozialen System mit einer bewußten Übernahme gerechtfertigter Verpflichtungen.
16-18 Kritisch-reflektierend
Der Prozeß der Prioritätensetzung wird thematisiert und reflektiert.
Orientierung an individuellen Rechten und ihrer kritischen Prüfung unter dem Anspruch der menschlichen Gesellschaft.

(nach Tulodziecki, G.,1994, Unterricht mit Jugendlichen, 2. Aufl., Bad Heilbrunn)

 

Schon ab dem Alter von 9 Jahren beginnt also der reflektierte Bezug eigener Handlungen auf die anderer. Damit bedürfen Kinder und Jugendliche eines Umfeldes, das diesen Bezug ermöglicht. Nur ein umfassendes Lernangebot gibt Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit,

– Wissen auf Wirkung und Inhalt zu testen,
– Verhaltensweisen experimentell zu überprüfen,
– Können anzuwenden und eigene Fähigkeiten weiterzuentwickeln.

Floh im Ohr begegnet dieser Notwendigkeit durch gezielte Lernangebote.

 

Modell 10: Lernangebote Floh im Ohr

Lernanforderung Praxis von Floh im Ohr
Lernangebote müssen vorhanden sein, die auf allen drei Lernebenen Erfolge ermöglichen. Wissen: Wie entstehen Klänge? Wie wirkt Audio?
Wie funktionieren Geräte? Verhalten: gemeinsam produzieren gemeinsam senden Können: Geräte bedienen
Der Übergang zwischen Lernangeboten ist auf verschiedenen Ebenen möglich.
  • Modulares Angebot (journalistisch/experimentell)
  • modulare Technik
  • offene Gruppenstruktur
  • dauernde Lernerfolgsbeobachtung
  • Auch in Pausen oder zeitlicher Freiraum bestehen Angebote, die mit dem Medium Erlebnisse und Erkenntnisse vermitteln.
  Nebenbei-Experimente:

  • Klangküche
  • Geräuschejagd
  • Ton-Tische

 

Floh im Ohr bietet einen sozialen Raum.

Das „Rundum-Angebot“ des Radiomobils soll aber immer auch ein Stück Ferien für Daheimgebliebene darstellen. Ein Stück selbstgestalteter Freiheit/ Freizeit, das sich abseits von durchaus verbreitet angebotenen Ferienpaß-Angeboten zur Gestaltung anbietet. Die Möglichkeit, eine Woche in diesem Projekt zu arbeiten, übersteigt natürlich die Kapazitäten kommunaler Jugendarbeit in den meisten Fällen. Auch die Finanzierbarkeit liegt außerhalb dessen, was eine einzelne Landgemeinde leisten kann. Hier verstehen sich Fischauge und Floh im Ohr als engagierte Bereicherung zu bekannten Klein­veranstaltungen eines dörflichen Ferienpaß-Programms.

Sozialer Raum meint hier auch: Die Teilnehmer erleben sich unabhängig der Alltagsfaktoren Elternhaus und Schule in einer neuen Umgebung und in der Beschäftigung mit einem neuen Thema, dem Medium Video. Der soziale Raum des Camps schafft innerhalb der bestehenden Lebenswelt ein Forum, altersübergreifend mit anderen erleben Jugendlichen und Dorfbewohner Medienarbeit – und sich selbst mittendrin.

Floh im Ohr benötigt als Medienprojekt dafür kompetente Mitarbeiter

Eine konsequent vorbereitete Angebotsstruktur und feste Kompetenzgrundlagen im gesamten Mitarbeiterteam waren Voraussetzungen für die Etablierung der Projektreihe Fischauge im ländlichen Raum Schleswig-Holsteins. Mitarbeiter-Vor- und Ausbildung ist also nicht nur im pädagogischen Bereich notwendig, sondern muß sich neben dem technischen immer auch unbedingt dem künstlerisch-kreativen Ansatz annehmen. Ein konsequentes Konzept und eine durchgehende Reflektierung der Arbeitsergebnisse ist ebenso wichtig.

 

3.3. Erweiterungen Floh im Ohr

Audio ist anders als Video – also ist der pädagogische Umgang mit Audio auch anders als der mit Video. Die Eigenarten von Audio eröffnen ein weites Feld, das, systematisch erschlossen, umfangreich Medienkompetenz vermittelt und letztlich Bilder in Video und Multimedia in einem neuen Licht erscheinen läßt.

  • Audioarbeit ist einfach
Eigenschaft Audio Praxis Audioarbeit
Einfache Geräte sind leicht zu bedienen. Audiotechnik ist intuitiv nutzbar und leicht zu erlernen Kassettenrecorder fangen Geräusche, Töne und Worte ein, Kopfhörer geben sie wieder: Die Jagd nach Geräuschen erfordert technisch lediglich den Druck auf zwei Tasten und der Erfolg ist hörbar. Stabile Geräte lassen die Technik schnell vergessen, Geräuschejäger konzentrieren sich voll auf ihren „Auftrag“.
  • Audioarbeit schärft das Gehör
Eigenschaft Audio Praxis Audioarbeit
Sprache und Geräusche spielen eine Rolle – die ungewohnte Sicht auf die Umwelt öffnet neue Sichtweisen. Töne, Geräusche, Klänge, Sprache werden analysiert, getrennt, einzeln betrachtet und beliebig zusammengefügt. Ton-Nahaufnahmen, Richtmikrofone, Wiederholungen: Geräusche geben ihr Geheimnis preis. Das Umfeld wird auf Tone konzentriert, der Informationsgehalt erkannt. Die Synthese am Tonmischer fügt zusammen, was vielleicht sonst nie zusammengehört. Kategorien werden vermischt: Geräusche mit Sprache, Klänge mit Tönen. Mit dem Kopfhörer werden Aufnahmen von der Umgebung getrennt und eine neue Welt entsteht, teils auf dem Tonband, teils im Kopf.
  • Audioarbeit ist schnell
Eigenschaft Audio Praxis Audioarbeit
Aufnahme, Bearbeitung, Sendung: Bei einer Audioproduktion vergeht wenig Zeit. Schnitt, Nachbearbeitung erfolgt kurz nach der Aufnahme. Kassette vom mobilen Gerät in die Camp-Recorder stecken, anhören. Konzept, Überspielen auf Tonband und schon geht’s in den Schnitt. Oder vielleicht Aufnahmen gleich so herstellen, daß die Originalaufnahme zum Sendeband wird – nicht nur der Film, auch der Audiobeitrag entsteht im Kopf. Mit wenig Aufwand läßt sich ein sendefähiger Beitrag herstellen.
  • Audioarbeit konserviert Flüchtiges.
Eigenschaft Audio Praxis Audioarbeit
Geräusche werden ihrer Flüchtigkeit entzogen und festgehalten. Aufgenommenes ermöglicht durch Wiederholung Analysemöglichkeiten. Wer kennt nicht die Szene aus dem Fernsehen, in der der geniale Kommissar aus dem Hintergrund des Erpresseranrufes in der 7. Wiederholung die Ansage der U-Bahn Station „Voltastraße“ erkennt und so den Spitzbuben faßt.Einmal auf Band Aufgenommenes immer wieder mit dem Kopfhörer hören, vielleicht auch schneller oder langsamer als im Original, gibt immer neue Informationen frei. Und schließlich fügt sich, wie bei einer Sinfonie, die Harmonie aller Töne erst in der Gesamtschau des Tonwerkes.
  • Audioarbeit macht Töne begreifbar.
Eigenschaft Audio Praxis Audioarbeit
Mit Tonband und Bandmaschinen werden Aufnahmen handwerklich geschnitten. Bandlänge visualisiert Aufnahmelänge, „Ton­schnipsel“ und Toncollagen werden „begreifbar“. Bei Audio ist Tonschnitt tatsächlich Schnitt von Material, Zerstörung eines Bandes in Teile und Zusammenfügen der Schnipsel. Tonlänge, sonst nur nach Gefühl oder mit der Stoppuhr erfassbar, ist an der Länge des aufnahmetragenden Bandmaterials direkt begreifbar. Schnittrythmus, Tonfolge, Montage – alles ist sichtbar. Auf diese Weise hilft auch das Auge bei der Produktion von Hörbarem.
  • Audioarbeit ist nicht auf Hörfunknormen beschränkt
Eigenschaft Audio Praxis Audioarbeit
Audioformen außerhalb der allgegenwärtigen Radionorm, also auch Toncollagen oder Geräuschmusik, sind einfach zu erstellen. Vor der Kreativität steht oft die Imitation. Junge Radiomacher bringen ihre Lieblings-CDs mit und identifizieren sich über ihrer Musik. Doch Parallel­angebote experimentellerer Art machen neugierig. Auch Schräges ist legitim, Geräusche werden zu Musik, Basis-Sampling – aus Geräuschen entsteht eine Ton-Collage.
  • Audioarbeit im Offenen Kanal ist offen für Experimente
Eigenschaft Audio Praxis Audioarbeit
Experimente mit Tönen und Geräuschen, Rückkopplungen oder Verfremdungen von Stimmen, Soundscapes sind faszinierend und erlernbar. Das Experiment ist leicht zu realisieren. Geräusch finden ist das eine, Geräusche selbst produzieren das andere. Zuerst werden Gegenstände aus der Umgebung bearbeitet, beklopft, bis sie ein Geräusch hergeben. Dann folgt der Einsatz der Technik: ein Tonabnehmer am Fön… whow! Es gibt kein Geräusch, das es nicht gibt, und jedes selbstproduzierte Geräusch verstärkt das Verständnis der Umwelt und das Verständnis der Technik.
  • Audioarbeit fördert die Sprachfertigkeit
Eigenschaft Audio Praxis Audioarbeit
Fast alles läßt sich in Worte fassen, die Beschränkung auf den Ton läßt eine volle Konzentration auf Sprache zu. Die Videokamera zeigt die illegale Mülldeponie und dem Reporter entfährt nur: „Das stinkt zum Himmel!“. Der Tonreporter jedoch muß die Mülldeponie so anschaulich beschreiben, daß jedem Zuhörer die „Anrüchigkeit“ der Deponie auch ohne Bild deutlich wird. Gesten und Mimik sind dem Tonreporter nicht möglich – die Stimme, der Ton steht allein im Raum und muß von sich aus überzeugen.
  • Audioarbeit fördert Phantasie
Eigenschaft Audio Praxis Audioarbeit
Das Nichtvorhandensein des Bildes öffnet einen Raum für Phantasie und bietet einen kreativen Raum. Manche Geräusche sind eindeutig , andere nicht. Aber auch eindeutige Geräusche stellen sich unterschiedlichen Zuhörern unterschiedlich dar. Was für den einen eine freudiges Hundebellen ist, kann für den anderen schon bedrohlich wirken. Und die Information, daß der Hund mit dem Schwanz wedelt, fehlt dem Hörer naturgemäß ebenso wie die Alternative, der Biß ins Bein… Die Phantasie des Zuhörers macht aus dem Geräusch ein Bild, den Teil einer Vorstellung. Das Ergebnis dieser Phantasie ist offen und schwerer steuerbar als bei Video, weil das Bild erst generiert und nicht mitgeliert wird.
  • Audioarbeit unterstützt abstraktes Denken
Eigenschaft Audio Praxis Audioarbeit
Die Notwendigkeit, Außenstehenden einen Gegenstand rein sprachlich zu vermitteln, erfordert ein hohes Abstraktionsniveau. „Sehen Sie, auf dieser Grafik wird es besonders deutlich, daß…“ Nein, ohne Bild muß vom Vortragenden ein Vorgang, eine Struktur so dargestellt werden, daß Unbeteiligte das Gemeinte nachvollziehen. Die Analyse des Vortragsstoffes auf Schwerpunkte, Wichtiges, Vermittelbares und auf Undurchschaubares ist gefordert.
  • Audioarbeit führt kleine Projekte zu komplexe Handlungspaketen zusammen
Eigenschaft Audio Praxis Audioarbeit
Kleiner Töne und Geräusche und komplexe Audioformen werden zu Paketen gebunden und bilden ein Ganzes. Audioarbeit findet in Kleingruppen, vielleicht auch in Einzelarbeit, statt. Arbeitsergebnisse sind oft kurz, immer schnell und stehen manchmal ohne Zusammenhang da. Diese Produkte in einen Beitrag, Beiträge in ein Hörfunkmagazin einzubinden, ist technisch einfach und sehr gut präsentabel.
  • Audioarbeit schafft Erfolgserlebnisse
Eigenschaft Audio Praxis Audioarbeit
Der Zusammenhang zwischen einer Tätigkeit und deren Erfolg wird hergestellt und als Erlebnis erfahrbar gemacht. Schnell erstellte Beiträge, die ebenso schnell den Weg in eine Sendung finden, schaffen Erfolgserlebnisse ohne Zeitabstand zur Aktivität selbst. Gerade Kinder werden auf diese Weise von Audio fasziniert. Bewegungsdrang setzt sich in Tondynamik um.

 

Reportagen und Audio-Experimente: Hintereinander statt verwoben

In der Etablierung der beiden Basiselemente Geräuschexperiment und Hörfunkbeitrag erfordert Audio eine andere Herangehensweise als ein visuelles Medium. Audio ermöglicht und erfordert eine stärkere Trennung beider Bereiche.

  Bei den Videoproduktionen der vergangenen drei Fischaugen-Aktionen wurden experimentelle, also auch spielerische, Ansätze, wie beispielsweise ungewohnte Kamerafahrten, Bildverfremdungen, ein außergewöhnlicher Schnittstil oder die Vermischung von drei, vier oder mehr Bildebenen meist direkt in den Hauptfilm integriert.

 

Bei Audio dagegen werden statt dessen eher drei einzelne Beiträge gefertigt. Neben der Dorfreportage steht also noch eine Toncollage und zum Abschluß versucht sich das jugendliche Team vielleicht noch an einer Geräuschmusik. Dies liegt natürlich zuallererst an der kürzeren Produktionsdauer eines einzelnen Audiobeitrags, so daß bei einer Projektdauer von vier oder fünf Tagen ganz realistisch drei unterschiedliche kleine Hörstücke produziert werden können. Diesen Rhythmus auch in die Angebotsstruktur, also auch den Campablauf über die gesamte Woche, einzubinden, ist natürlich sehr wichtig. Zu beachten ist auch, daß nur selten alle drei Produktionen in ein oder derselben Gruppenkonstellation produziert werden, d.h., Fluktuation, die Chance auf Einbindung von Spätankömmlingen oder neugierig gewordenen Einsteigern am dritten Tag ist besser möglich, als in der relativ geschlossenen Produktion eines fünftägigen Videofilms.

Die Trennung von experimenteller Ebene und Hörfunkbeitrag nach etabliertem Radioschema erklärt sich aber auch durch die eingeschränkten Entschlüsselungsfähigkeiten der menschlichen Hörwahrnehmung. Sie stößt schnell an ihre Grenzen, wenn es gilt, aus einem experimentell strukturierten Beitrag mit bearbeiteter Geräuschmusik und komplex angelegten Ton- und Geräuschinszenierungen den Sprach- oder Nachrichtenanteil zu entschlüsseln und zu verstehen. Nicht zu vergessen ist aber auch, daß im Videofilm neben dem eventuell verfremdeten und experimentellen Bild immer noch die Tonebene als Informationsbasis zur Verfügung steht.

Produktion – auf der mobilen Bühne mischt eine Gruppe ihr Hörspiel ab

 

3.4. Resümee der Vorüberlegungen

Theorie und Praxis liegen oft weit auseinander, oft dicht zusammen. Natürlich läßt sich keine Theorie 1:1 auf die Praxis übertragen, will keine Theorie die Praxis ersetzen. Gleichwohl ist ein konsequenter theoretischer Rahmen der einzig taugliche Parameter für die erlebte Praxis.

Medienpädagogik und der ländliche Raum
Der ländliche Raum unterscheidet sich in einer für die Medienpädagogik signifikenten Weise vom städtischen Raum, vielleicht auch, weil neue Medien gleiche Chancen für Stadt und Land beinhalten.

  • Medienpädagogik auf dem Lande kommt selten innen aus dem Dorf. Der Anstoß für die aktive und gleichzeitig reflektierte Nutzung neuer Medien muß nach wie vorvon außen an ein Dorf herangetragen.
  • Medienpädagogik auf dem Lande muß auf vielen Schultern liegen. Dörfliche Strukturen sind vielschichtig, aber überschaubar. Oft ist ein einzelner Verein nicht in der Lage, die Infrastruktur auf die Beine zu stellen, die zur Durchführung aktiver Medienarbeit einfach notwendig ist.
  • Nur Abstimmung mit schulischer Bildungsarbeit ermöglicht die Konzentration auf die jeweiligen Stärken der Bildungsträger.
  • Das Grundkonzept aktivierender Medienarbeit, wie es bei dem Projekt Fischauge seit 1996 praktiziert wird, läßt sich für Floh im Ohr modifizieren und auf Hörfunkarbeit übertragen: Die Lernfelder „Medienkompetenz“ und „Politische Bildung“ ergänzen sich in der pädagogischen Praxis ideal. Damit ist auch die Frage beantwortet, ob „Medien“ allein vermittelt werden können: Einerseits ist die Nutzung eines Mediums ohne Thema obsolet, andererseits legt nur der spielerisch-kreative, oft zweckfreie Umgang mit Medien die Grundlage für eine angemessene Auseinandersetzung mit Themen.
  • Die schultypische und eher trockene Methode der Theoriebildung über die Ermittlung und Formulierung von Lernfeldern und Lernzielen ist auch in der gänzlich außerschulischen (Medien-)Bildungsarbeit notwendig und äußerst wirkungsvoll.

Die Chancen des Hörfunks
Die Nutzung von Hörfunk liegt in der heutigen bildorientierten Welt nicht automatisch auf der Hand. Offensichtlich ist diese Wahrnehmung nicht begründbar.

  • Hörfunkwelt und Jugendwelt sind miteinander verzahnt. Das liegt nicht nur daran, daß Audioarbeit ist einfach und schnell ist, sondern auch an der Durchdringung des Alltags mit elektronisch transportierten Tönen. Audioarbeit ist deshalb pädagogisch besonders effektiv.
  • Hörfunk muß an vielen Orten als aktuelle Chance der Medienarbeit neu entdeckt werden. Vielen ist bei der Beschäftigung mit Bildern der Ton „aus den Auge“ geraten.
  • Deshalb fordert Audioarbeit gerade Pädagogen und deren Ausbildung heraus. Auch Pädagogen und deren Ausbilder müssen sich von der – vermeintlich attraktiveren, weil allgegenwärtigen – Bildebene lösen können. Die eigene Erfahrung der Lehrenden muß nicht bedeuten, daß zum Lernen nicht auch andere Erfahrungen zum Tragen kommen können.

Der Offene Kanal als Partner der Medienpädagogik
Im Offenen Kanal Hörfunk, der als terrestrisch verbreitetes Bürgermedium zu späteren Entwicklungen in diesem Bereich gehört, hat aktivierende Medienarbeit einen Partner gefunden, der vieles ermöglicht und kaum einengt.

  • Der Offene Kanal verfügt über eine brauchbareund tausendfach bewährte technische Plattform.
  • Der Offene Kanal hat reichhaltige Erfahrungen in der Vermittlung von Medienkompetenz, weil er dies nicht als eine Aufgabe unter vielen betreibt. Seine Mitarbeiter sind für diese Aufgabe geschult.
  • Beim Offenen Kanal gehört Senden dazu. Dies ist einerseits ein ideales Projektziel, das als verfügbares Erfolgserlebnis pädagogisch moviert.
  • Andererseits ist der Offene Kanal als repressionsfreier Senderaum ein idealer Partner, der auch Sendungen ermöglicht, die nicht sofort nach der Einschaltquote schielen.

Live Interview – mit vorbereiteten Fragen wird die Jugendarbeiterin „gelöchert“

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4. Dieses Jahr: Süsel und Scharbeutz

4.1. Ablauf einer Station

Letztlich ist Floh im Ohr ein Lern- und Erfahrungsprozeß. Da Lernen zyklisch und nicht kontinuierlich verläuft, müssen auch die Projekte entsprechend angeboten werden. Genauso wie für den Bereich Video – nur für die reine Wissensvermittlung – „Lernpakete“ benannt sind, müssen diese auch für den Bereich Hörfunk vorhanden sein. Da Audioarbeit andere Lernprozesse beinhaltet, zugleich schneller sein kann, müssen die Pakete völlig anders sein als bei Videoarbeit, die Lernzyklen aus anderen Paketen bestehen.

Grundsätzlich gilt beim Hörfunk wie bei allen technischen Vorgängen, daß die Organisation von Lernen in Schritten erfolgt (s. „Modell 5: Modulares technisches Lernen“).

Es ist ein wesentlicher Punkt der Hörfunkarbeit, daß Senden – auch in verschiedenen Stadien – möglich ist. Schon einfach aufgenommene Geräusche können Teil einer Sendung sein, ebenso wie das Hörspiel, das verschiedene Audioformen integriert.

Für die Durchführung von Floh im Ohr sind deshalb drei Modelle für die Arbeit in Lernzyklen aufgestellt worden.

Version 1: Kleine Lernschritte, die zu einer täglichen Sendung am Abend führen. Die Arbeit des nächsten Tages ist dann jeweils auf die des Vortages bezogen.

Version 2: Bei den vier Tagen, die Floh im Ohr dauert, wird am zweiten und am vierten Tag gesendet. Der Zeitdruck einer Sendung tritt weniger häufig auf, es kann ggf. in Gruppen flexibler gearbeitet werden.

Version 3: Es wird am Ende des Vier-Tage-Projektes einmal gesendet. Die Arbeit während der vier Tage ist flexibler möglich, allerdings ist es nicht möglich, Erfahrungen aus einer Sendung in die nächste einzuarbeiten.

Live on air!
Per ISDN geht die Sendung direkt über den Äther!

Modell 11: Ablauf Floh im Ohr – Version 3

1. Tag 2. Tag 3. Tag 4. Tag
Vormittag Arbeitsfrühstück Themenfindung Arbeitsfrühstück Produktion vervollständigen letzte Aufnahmen Arbeitsfrühstück Produktion abschließen Schnitt
Nachmittag Begrüßung/ Einf. Themenfindung Klang-Experiment Probe-Interview schnack wat Treff
Geräte kennenlernen Aufnehmen Anhören
schnack wat Treff Produktion vervollständigen Schnitt Geräusche­gimmicks schnack wat Treff
Sendung erstellen Sendeplan Live-Sendung

 

Entscheidungsgründe
Um die flexible Arbeit in den Gruppen am größten zu halten, wurde entschieden, Version 2 und 3, und dies jeweils in einer der beiden Stationen, durchzuführen. In Süsel, wo wegen der vorhersehbaren Unstrukturiertheit der Teilnehmerschar die größtmögliche Flexibilität bei der Durchführung erforderlich war, sollte einmal, in Scharbeutz mit dem etwas verläßlicheren Rahmen des Ferienlagers, zweimal gesendet werden.

 

4.2. Ortswahl

Die Auswahl der Orte sollte sowohl den Bedürfnissen des Projektes Floh in Ohr Rechnung tragen, als auch durch unterschiedliche Grundsituationen Erkenntnisse über die Durchführbarkeit von Floh in Ohr liefern. Grundlagen der Ortswahl waren:

  • Lage im Sendebereich des OK Lübeck, aber trotzdem ländlich,
  • Gemeindegröße zwischen 1500 und 3000 Einwohnern,
  • ein brauchbarer, möglichst zentraler Platz für das Camp,
  • Begeisterungfähigkeit der Ansprechpartner vor Ort.

Aus den o.g. Gründen der Erkenntnisgewinnung sollte dabei

  • eine Station eher dörflich,
  • eine Station innerhalb eines der vielen Jugendzeltlager in der Lübecker Bucht sein.
  • Bei einer Station sollten Jüngere (9-13 Jahre), rechtlich also Kinder,
  • bei der anderen Station Ältere (12-16 Jahre), rechtlich Jugendliche, angesprochen werden.

In Süsel zeigt sich das örtlich Jugendzentrum interessiert und wurde ausgewählt, auch wenn der Platz wenig zentral lag. Zielgruppe deshalb: Jugendliche. Nach der Ansprache mehrerer Jugendlager erhielt eins in Scharbeutz den Zuschlag, das sich besonders kooperationswillig zeigte und wegen eines großen Platzes in der Lagermitte als geeignet von der zur Verfügung stehenden Fläche her darstellte. Zielgruppe dort: Kinder ab 9 Jahren.

 

4.3. Süsel

Lage
Die Flächengemeinde Süsel befindet sich zwischen Neustadt und Eutin und besteht aus 15 Dorfschaften. Zentrum und größtes Dorf der Gemeinde ist Süsel mit 1.158 Einwohnern. Insgesamt hat die Gemeinde 4.820 Einwohner, darunter 804 Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 18 Jahren.

Infrastruktur
Süsel ist ein Dorf wie viele andere: Kein Zentrum, wenig Busverbindungen, kein Kino, keine Diskothek, eine Grund- und Hauptschule. Neben der Kinder- und Jugendarbeit verschiedener Träger (Kirche, Verband, Gemeinde) ist vor allen das Jugendzentrum „Jungle House“ ein wichtiger Anlaufpunkt, der überwiegend von den Kindern und Jugendlichen aus Süsel selbst genutzt wird. Für Kinder und Jugendliche aus der Umgebung besteht häufig ein Fahrproblem oder die Attraktivität der Städte, wie z.B. Eutin, ist größer, und/oder die Verkehrsanbindung besser. Außer dem Jugendzentrum existieren als informelle Treffpunkte noch die Bushäuschen in Süsel und Röbel, im Sommer der Bade- und Wasserskisee in Süsel, der Spazierweg, der von Süsel aus dorthin führt.

Auswahl des Standortes
Das Jugendzentrum befindet sich in Süsel am Ende einer Sackgasse neben der Grund- und Hauptschule. Am Jugendzentrum führt auch der Spazierweg zum Wasserskisee vorbei. Da Süsel keinen Marktplatz hat und ein festes Gebäude im norddeutschen Nieselsommer durchaus eine Hilfe sein kann, fiel die Wahl für den Standort auf die Fläche vor dem Jugendzentrum.

Vorbereitung vor Ort
Jugendzentrum, Gemeinde, Kinderschutzbund – das waren die örtlichen Kooperationspartner. Das Jugendzentrum steuerte Aussenfläche und Räumlichkeiten bei, die Gemeinde einen ISDN-Anschluß für die Live-Sendung, der Kinderschutzbund half bei der Werbung von Teilnehmern. Plakate, Handzettel und direkte Ansprache der Kinder und Jugendlichen im Jugendzentrum sollten Teilnehmer gewinnen. Bei Beginn von Floh im Ohr wurde jedoch deutlich, daß die Werbung nur eingeschränkt gewirkt hatte. So kamen die meisten Teilnehmer aus Süsel selbst, mit Ausnahme von Kindern und Jugendlichen aus einem Kinderhaus in Bujendorf und einer Jugendwohngemeinschaft in Zarnekau.

 

4.4. Scharbeutz

Lage
Scharbeutz liegt direkt an der Lübecker Bucht, unterscheidet sich von anderen Strandorten durch die friedliche Koexistenz von Badetourismus und Jugendfreizeitstätten. Im Sommer ist Scharbeutz in Vorort von Hamburg.

Infrastruktur
Als Touristenort verfügt Scharbeutz über alle notwendigen Einrichtungen und Geschäfte: Supermarkt und Strandboutique, Ärztehaus und Kurverwaltung. Durch die Wahl des Ferienzeltlagers als Projektort ergab sich aber ein anderer Stellenwert des Dorfes für Floh im Ohr: Gästekinder aus dem Zeltlager eroberten das Dorf mit dem Mikrofon. Ein Marktplatz wurde nicht benötigt, eine Öffentlichkeit des Projektes im Dorf war hier von vornherein nicht vorgesehen.

Auswahl des Standortes
Die Jugendfreizeitstätte Scharbeutz bietet ein Gelände, das weiträumig, zentral gelegen, direkt gegenüber dem Strand, gut erreichbar ist. Im Zeltlager gibt es eine vorteilhafte soziale Mischung (Alter, Herkunft). Floh im Ohr wurde im Mittelpunkt des Zeltlagers aufgebaut, Material- und Mitarbeiterzelte daneben. Der Träger des Zeltplatzes und die Vereine, die im Sommer zu Gast waren, waren bereit, Fläche und Infrastruktur zur Verfügung zu stellen und ihr eigenes Programm auf das Angebot von Floh im Ohr abzustimmen. Ein elementarer Schritt, in der Vorarbeit und Information der Gastgruppen vor der Anreise begründet.

Vorbereitung vor Ort
Das rollende Radiocamp zu Gast in einem Jugendzeltlager. Eine passende Beschreibung, kann Floh im Ohr doch hier an die örtliche Infrastruktur anschließen und die professionelle Organisation der Jugendfreizeitstätte nutzen. Der Ablauf des Radiocamps war durch Essenszeiten vorgegeben, Strom, Sanitärräume standen zur Verfügung. Der Mikrokosmos „Mediencamp“, eine der Prä­missen des Projektes „Fischauge – das rollende Videocamp“, wurde hier probeweise geöffnet. Teilnehmer, Themen und Infrastruktur des Zeltlagers wurden genutzt. So entstanden zeitliche Spielräume und die Möglichkeit, das Konzept außerhalb des reinen Mikrokosmos „Dorf und dessen Jugendszene“ zu erproben.

Sendung und Präsentation – Jubelschreie und Versprecher, alles live auf 98,8 Mhz

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